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Dachau: Boykott, Transparente und Hausverbot

Bürger boykottieren Metzger, der sein Dach an T-Mobil vermietet hat

Zorn auf T-Mobil, Hausverbot für T-Mobil-Techniker - Vermieter kündigt Vertrag fristlos

Quelle: Süddeutsche Zeitung, 19.04.2002

Von Judith Raupp

Dachau – Wo Kinder mittags von der Schule heimradeln, der Duft von Suppe die Luft erfüllt, und das Wappen des Freistaates Bayern die Einfamilienhäuser ziert, müsste die Welt noch in Ordnung sein. Doch die Idylle ist zerstört. Davon zeugen die Transparente an den Gartenzäunen. „Wir wollen diesen Mobilfunksender nicht“, verkünden sie. Von „Terror“, „Arroganz“ und „Profitgier“ ist die Rede. Fast jeder in Dachau-Süd hat ein Protest-Plakat aufgehängt – außer Herbert Limmer.

Der arme Sünder

Der Metzger sitzt in seiner Küche und mimt den armen Sünder: „Ich war wohl etwas naiv, zu glauben, es gäbe keinen Streit.“ Wenn er gewusst hätte, dass die Nachbarn solche Angst vor der Strahlung haben, hätte er T-Mobile, der Mobilfunktochter der Deutschen Telekom, sein Dach nicht vermietet, behauptet er. Nun ist es zu spät. Die Antenne ist zwar noch nicht angeschlossen. Dafür hat die Bürgerinitiative gesorgt. Aber seit sie montiert ist, seit fast zwei Jahren, meiden viele Kunden seine Metzgerei. Gute Kunden, die für Fleisch und Wurst mehr als 50 Euro in der Woche ausgaben.

„Wenn das so weiter geht, bin ich ruiniert“, klagt Limmer. Seine fünf Angestellten wären dann arbeitslos. Nach diesem Eingeständnis schweigt der 45 Jahre alte Metzger und führt den Besuch in seinen Laden, um zu zeigen, was auf dem Spiel steht. Zu sehen gibt es kaum etwas. Leere Ladentheken und heruntergezogene Rollläden. Montagnachmittag hat Limmer geschlossen. Normalerweise geht er an einem solchen Tag einkaufen und gönnt sich anschließend eine Pause. Aber „seit der Antenne“ kommt er nicht mehr zur Ruhe. „Warum nur habe ich diese Anlage aufs Dach gestellt?“, fragt er sich in solchen Momenten.

Vielleicht wären andere auch schwach geworden bei der Aussicht, fürs Nichtstun einen Batzen Geld zu bekommen. Es heißt, die Vermieter könnten 3000 bis 6000 Euro im Jahr herausschlagen – je nach Verhandlungsgeschick. Limmer, sagen die Leute im Stadtteil, habe Verhandlungsgeschick. So etwas ärgert den gebeutelten Geschäftsmann: „Der Laden ist vorher gut gelaufen. Was mir jetzt an Umsatz verloren geht, bringt die Miete für die Antenne nie wieder rein.“

Zornig sei er aber nicht auf seine Nachbarn. Eher auf die Telekom: „Von denen hat mir keiner gesagt, dass es Probleme geben könnte.“ Den Zehn- Jahres-Vertrag hat er vor kurzem fristlos gekündigt, die Miete zurück erstattet und den T-Mobile-Technikern Hausverbot erteilt. Ob er das darf, darüber streiten derzeit die Anwälte. Vorläufig entbindet T-Mobile Limmer nicht von seinen Pflichten. Das Unternehmen hat schließlich einen sechsstelligen Betrag investiert. Außerdem scheuen die Mobilfunk-Manager die Schlagzeile „Bürgerinitiative zwingt Telekom zum Rückzug“. Andere könnte das erst recht zum Protest animieren.

Horst Fleischer, der Nachbar von schräg gegenüber und einer der führenden Köpfe des Bürgerprotests, unternimmt alles, damit diese Schlagzeile wahr wird. „Wir haben oft beim Limmer eingekauft. Jetzt gehen wir nicht mehr hin.“ Allgemeines Kopfnicken in der Runde. Alle gehen sie nicht mehr hin. Das Rentnerehepaar, der Betriebswirt, die Hausfrau, der Lehrer und der Maurer. Ein Dutzend Leute hat sich im Garten der Fleischers versammelt, um neue Pläne auszuhecken. 2500 Euro haben sie bereits aus eigener Tasche für Flugblätter, Plakate und eine Internet-Seite ausgegeben. „Wir sind kreativ“, erzählt Fleischer vielsagend. Zeichen dieser Kreativität ist zum Beispiel die Web- Kamera, die er im Obergeschoss seines Hauses installiert hat. Sie übermittelt ins Internet, was sich auf Limmers Dach tut: „Damit wir merken, wenn ein Techniker kommt.“ Die Nachbarn parken nach einem ausgeklügelten Stundenplan den Gehweg zu, „damit die Telekom keine Leitungen legen kann“.

Besorgte Stadtväter

„Wir fürchten um unsere Gesundheit und die unserer Kinder“, begründet Fleischer seinen Kampf. Den Wissenschaftlern, die feststellen, dass die Strahlen ungefährlich sind, glaubt der 43 Jahre alte Maschinenbau- Ingenieur nicht. Schließlich gibt es auch Wissenschaftler, die das Gegenteil behaupten. Dass er selbst ein Handy „für den Notfall“ besitzt, findet er in Ordnung. Das zeige, dass er nicht technikfeindlich sei. Deshalb wäre er auch mit Antennen außerhalb von Wohngebieten einverstanden. Mitleid mit Limmers geschäftlichem Niedergang hat er wenig: „Wir leiden auch. Die Antenne mindert den Wert unserer Häuser.“

Davon kann Werner Jässel ein Lied singen. Der Kleinunternehmer blickt finster in die Runde auf Fleischers Terrasse. Er hat eine gehörige Wut: „Meine Wohnungen sind wunderschön. Aber keiner will sie haben.“ Von seinen drei Reihenhäusern, die er neben der Metzgerei gebaut hat, ist nur eins verkauft – an einen, dem der Streit um die Antenne egal ist. Davon gibt es aber nicht viele. Deswegen steckt Jässel in der Bredouille. Eine Million Euro hat er investiert, „in bester Wohnlage“. Doch was nutzt das, wenn niemand neben einer Mobilfunkantenne leben will? Den Kredit hätte Jässel der Bank eigentlich schon zurück zahlen sollen. „Wenn sie ihn einfordert, bin ich pleite“, prophezeit er. „Pleite wegen einer Antenne!“ Dabei lacht er schallend und tröstet sich mit einer Marlboro Light.

Der Zwist in Dachau hat sogar die Stadtverwaltung alarmiert. Zunächst wollte sie T-Mobile gerichtlich den Betrieb der Antenne untersagen lassen, ist aber in erster Instanz gescheitert. Jetzt verhandelt man mit dem Unternehmen über alternative Standorte außerhalb von Wohngebieten. „Hier geht es um einen gesellschaftlichen Interessenkonflikt“, meint Bauamtsleiter Ernst Hengstenberg. Da müsse jemand Brücken schlagen. Doch wer baut diese Brücken?

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