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Mobilfunkindustrie wütet gegen Bundesamt für Strahlenschutz

Quelle: Der Spiegel, Ausgabe 22 vom 27.05.2002, Seiten 54 und 55

Uneingeschränkt neutral

Der Aufbau des Handy-Netzes UMTS stockt – gereizt reagiert die Branche auf Ratschläge des Bundesamtes für Strahlenschutz an Gegner der Antennenmasten.

Die Tipps waren praxisnah und präzise. Auf zwei Seiten beschrieb ein Infoblatt, wie Bürger sich gegen Mobilfunkanlagen wehren können. Wer sich wegen möglicher Strahlenrisiken um seine Gesundheit sorgt, könne die „rechtliche Zulässigkeit“ der für die Handy-Kommnikation notwendigen Antennenmasten überprüfen lassen. Die Verfasser des Papiers klärten über die Behörde, die für das Baurecht zuständig ist, und über die Erfolgsaussichten des Rechtsweges auf. Die Mobilfunkbranche reagiert empört. Denn die Handreichung zum juristischen Einspruch kam Ende April aus dem Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) in Salzgitter, das dem grünen Umweltminister Jürgen Trittin untersteht.

Helmut Hoffmann, Technikchef des Netzbetreibers Vodafone D2, forderte BfS-Präsident Wolfram König auf, dafür zu sorgen, dass „die Verbreitung des Informationsblattes zukünftig unterbleibt“. Auch das Informationszentrum Mobilfunk in Berlin zeigte sich „irritiert“: Es gehöre nicht zu den Aufaben des BfS, Mobilfunkgegnern juristische Schützenhilfe zu leisten.  Die Unternehmen und ihre Lobby konterten so gereizt, weil das Geschäft mit den Handys, nach jahrelangem Siegeszug, nicht mehr so floriert wie erwartet. Das lauthals verkündete neue Mobilfunkzeitalter mit Superhandys, die Videos übertragen, Musik-Clips aus dem Internet laden oder online die Bankgeschäfte abwickeln, will einfach nicht anbrechen. Ob sich die 50 Milliarden Euro, die sechs Netzbetreiber für den Erwerb der deutschen UMTS-Lizenzen bezahlten, je amortisieren, scheint fraglicher denn je. Schuld ist nicht nur das mässige Interesse der Handy-Nutzer.

Ausgebremst wird die Branche auch von der wachsenden Gemeinde der Elektrosmog-Gegner. Weit mehr als 1000 Bürgerinitiativen sperren sich mittlerweile gegen die Allgegenwart des Basisstationen für den Mobiltelefonverkehr, deren Zahl sich mit Einführung  der UMTS-Technik binnen weniger Jahre auf rund 100000 verdoppeln soll. Mehr als jeder dritte Deutsche befürchtet laut Umfrage Gesundheitsschäden durch Elektrosmog – obwohl es dafür bislang keine seriösen Beweise gibt. Das Oberverwaltungsgericht Münster entschied Ende April, dass ein Verstoss gegen örtliches Baurecht ausreiche, um in Wohngebieten die ungeliebten Masten zu verhindern. Eine Überschreitung der zulässigen Strahlengrenzwerte müsste danach gar nicht mehr nachgewiesen werden.

Aufgeschreckt wehren sich die Telekommunikationsunternehmen gegen alles, was die Mobilfunkphobie verstärken könnte. So lehnen die Handy-Hersteller ein von Trittin vorgeschlagenes Öko-Siegel für besonders strahlungsarme Handys vehement ab. Um eine drohende Verschärfung der Strahlengrenzwerte abzuwenden, hatte die Industrie ein 8,5 Millionen Euro teures Forschungsprogramm zugesagt. Darüber eskaliert nun ein Kompetenzstreit, in dem die Wirtschaft dem BfS die wissenschaftliche Projektführerschaft streitig macht. Da kam das Hickhack um das Infoblatt aus Salzgitter gerade recht. Die Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Behörde hätten sich verstärkt, sagt die Industrie.

Eine Unterstellung, kontern die Strahlenschützer aus Salzgitter: „Wir halten uns für uneingeschränkt neutral.“ Das Motiv für die Handreichung sei rein praktischer Natur: „Wir ertrinken in Arbeit“. Tatsächlich wird die Bundesbehörde von Anfragen besorgter Bürger überrollt, seit Amtschef König im vergangenen Jahr Eltern aufforderte, „ihre Kinder möglichst von der Handy-Technology fern zu halten“.  Seinen Brandbrief gegen das Infoblatt schickte Vodafone-Technikchef Hoffmann in Kopie an Trittin – und an den Staatsminister im Kanzleramt, Hans Martin Bury (SPD), der auch die anderen Reibereien zwischen Umweltministerium und Netzbetreibern entschärfen soll.

Das BfS-Pamphlet steht jetzt in nur leicht entschärfter Fassung auf der Website des Amtes (www.bfs.de). Aber auch der Urtext ist nachzulesen – auf den Seiten der Strahlenkritiker (www. elektrosmognews.de).

GERD ROSENKRANZ

Anmerkung der Elektrosmognews: Das entsprechende Dokument des Bundesamtes für Strahlenschutz kann unter http://www.elektrosmognews.de/news/rechtbfs.htm abgerufen werden.

Aufruf zum Dauerprotest: http://www.elektrosmognews.de/news/aufrufzumdauerprotest.htm

Fragebogen für Betroffene (deutsch): http://www.elektrosmognews.de/news/fragebogen.htm

Internationaler Fragebogen für Betroffene: http://www.health-concerns.org/

Mailkontakt: webmaster@elektrosmognews.de

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